Interview mit Technovation Girls Germany
Teresa Haberland war bis Juli 2020 die Leiterin der Initiative “Technovation Girls Germany” in Deutschland. Weltweit nehmen an der Technovation Girls Challenge 34.000 Mädchen zwischen 10 und 18 Jahren aus mehr als 100 Ländern und 7.900 MentorInnen teil.
“Die Teilnehmerinnen gewinnen digitale und unternehmerische Kompetenzen. Sie ändern ihre Perspektive und werden von passiven Nutzerinnen zu aktiven Gestalterinnen. Dabei entsteht ein viel größeres Interesse an Informatik und an Unternehmensführung.”
Ein spannendes Statement von Teresa! Wir wollten mehr erfahren und hatten das Glück, im März 2020 ein Interview mit ihr zu führen. Die Inhalte sind besonders interessant für Lehrkräfte, denn das Programm läuft in Kooperation mit Schulen.
Über die Initiative
Wie würdest du in deinen Worten beschreiben, worum es bei Technovation Girls geht?
Technovation Girls Germany unterstützt Mädchen dabei, eigene Apps zu programmieren. Wir wollen, dass Mädchen nicht nur Nutzerinnen, sondern auch Gestalterinnen der Gesellschaft sowie Technik und Medienwelt werden. Sie sollen lernen, soziale und ökologische Herausforderungen mit Hilfe informatischer Kenntnisse zu meistern.
Die Mädchen nehmen in der App Entwicklung eine aktive Rolle ein. Uns ist wichtig, dass ihre eigenen Interessen einfließen und sie selbständig mit Spaß bei der Sache sind.
Innerhalb unseres Programms kooperieren wir mit allen verschiedenen Schulformen (Haupt-, Real-, Gesamt-, Stadtteilschulen, Gymnasien, Berufsschulen). MentorInnen aus unterschiedlichen Unternehmen begleiten die Mädchen in dem Zeitraum.
Heute können bundesweit Mädchen zwischen 10 und 18 Jahre alt teilnehmen.
Motivation
Warum hältst du es für relevant, dass gerade Mädchen gefördert werden?
Oft sind Mädchen passive Nutzerinnen von Social Media & Co., dabei sollten sie lieber mehr mit gestalten. Eine gleichberechtigte Teilhabe an der digitalen Welt und generell an gesellschaftlichen Prozessen ist wichtig. Momentan sind es weniger als ⅓ weibliche Studierende in den IT-Studiengängen: Das soll sich ändern und deshalb wollen wir digitale Kompetenzen fördern.
Die Themen, die die Mädchen bewegen, reichten von persönlichen Herausforderungen, wie Schulstress, Mobbing und digitaler Spam/Werbung bis zu gesellschaftspolitischen Problemen wie Klimawandel oder Rassismus.
Bei der eigenen App Entwicklung können die Schülerinnen auf ihre persönlichen Interessengebiete eingehen. So haben einige Mädchen beispielsweise eine App zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung erstellt.
Wie bist du selbst zum Thema “Digitalisierung” gekommen?
Ich bin über Umwege da gelandet, wo ich jetzt bin. Bereits in der Schule wurde mir von meiner damaligen Lehrerin angeboten, meine Abschluss-Seminararbeit in dem Fach Informatik zu machen.
Obwohl ich damals tatsächlich schon Interesse daran hatte, traute ich mich letztendlich nicht, da ich das einzige Mädchen gewesen wäre. Also sagte ich ab und wählte stattdessen den “typischeren” Weg für Mädchen.
2004 beendete ich die Schule mit dem Abitur und studierte anschließend im Bachelor Sozialwissenschaften und im Master dann Innovationsmanagement und Strategie. Mit dem Thema Zukunftsforschung befasste ich mich innerhalb verschiedener Praktika. Ich schrieb meine Masterarbeit über die Entwicklung von Clean Tech Startups in Brasilien.
Das Interesse war also schon zu Schulzeiten da, aber es brauchte zunächst einige Zeit, bis ich mich der Informatik und dem Thema Digitalisierung wieder annäherte. Nach meinem Studium ging ich also immer weiter in die Richtung Innovation und beschäftigte mich mit Gründung und Zukunftstrends.
Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen liegt es mir am Herzen, Mädchen einen besseren Zugang zur Informatik in unserer digitalen Welt zu ermöglichen. Deshalb leite ich die Initiative Technovation Girls Germany.
Programminhalte
Was lernen die Mädchen im Rahmen des Programms?
Die Mädchen lernen den Umgang mit Technik und Programmieren. Dass sie dabei Spaß haben, ist uns sehr wichtig. Sie lernen, mit Selbstzweifeln umzugehen und diese abzubauen. Wir haben einen “Schutzraum” im Programm, sodass ein regelmäßiger Austausch untereinander stattfindet. Außerdem unterstützen ausgebildete MentorInnen die Gruppen.
Es ist essentiell, dass die Schülerinnen lernen, technische Fragen zu stellen und selbstverantwortlich an ihren Projekten zu arbeiten. Sie sollen experimentieren und kreativ sein. Oft stehen sie auch vor großen Herausforderungen. Dazu brauchen sie Durchhaltevermögen, wenn der Code nicht funktioniert oder sich “Error”-Meldungen wiederholen.
Außerdem lernen sie, ihre eigene Idee bestmöglich zu präsentieren.
Mit Technovation Girls Germany erlernen die Mädchen spielerisch technische und unternehmerische Kompetenzen – und sie ändern ihre Perspektive: Die Mehrzahl der Teilnehmerinnen hat ein größeres Interesse an Informatik (78 %), Unternehmertum (70 %) und Unternehmensführung (67 %).
Aber nicht nur die Mädchen sondern auch die Schulen profitieren. Sie erhalten kostenfreie Lernmaterialien zur Ideen-, Projekt- und App-Entwicklung sowie thematisch passende Kontakte zu Netzwerken und zu Unternehmen.
Programmablauf
Wie läuft das Programm genau ab?
Das Programm findet unter anderem in Kooperation mit Schulen statt und dauert in der Regel von Oktober bis Mai. Lehrkräfte bestimmen dann den Rahmen schulintern (z.B. integriert in den Ganztag oder als AG am Nachmittag). Es können sich aber auch Mädchen unabhängig von der Schule bei Technovation anmelden und z.B. auch in digitalen Teams zusammenarbeiten.
Die Schulen können sich bereits vor den Sommerferien für die Teilnahme an dem Programm anmelden. Dieses startet dann immer im Herbst mit einer Kick-off Veranstaltung.
Technovation Girls stellt kostenlose Lehrmaterialien online zur Verfügung. Dabei ist Technovation Girls Germany eine Mischung aus selbst verantworteter Projektarbeit und individueller Begleitung. Ein Online-Kursplan stellt in wöchentlichen Abschnitten Inspiration, Arbeitsmaterialien und Videos bereit. Die Teams durchlaufen während eines knappen Schuljahres den Prozess von der Ideenfindung bis zur Entwicklung des fertigen App Prototypen. Während der Projektzeit werden die Mädchen von MentorInnen mit fachlichem Know-how unterstützt und durch regelmäßige Treffen (on- oder offline) begleitet. Diese kamen anfangs zum Beispiel von Unternehmen wie Adobe oder Salesforce, mittlerweile auch aus anderen Branchen.
Die Lehrkräfte schaffen die Rahmenbedingungen für die Projektteilnahme, wenn sich die Mädchen über ihre Schule anmelden. Am Ende der Projektphase im Mai gibt es in Deutschland ein großes Abschlussevent.
Darüber hinaus können die Teams auch an einem internationalen App Wettbewerb teilnehmen. In den letzten Jahren trafen sich die besten Teams zum World PitchEvent im Silicon Valley oder am renommierten Massachusetts Institut of Technology (MIT) in Boston.
Zukunftsvision
Wann und wie können sich Schulen und Mädchen bewerben?
Der Aufruf zur Teilnahme läuft immer über unsere Website und über unsere sozialen Medien. Außerdem werden wir Schulen teilweise auch direkt anschreiben. In diesem Formular kann man sich als Mädchen, Lehrkraft oder MentorIn direkt und unverbindlich für die kommende Saison anmelden.
Mädchen können sich ab diesem Jahr ab Herbst auch unabhängig von ihrer Schule bundesweit hier registrieren und ein eigenes Projekt durchführen.
Viel Erfolg weiterhin für Technovation Girls Germany und vielen Dank an Teresa Haberland!
Dr. Diana Knodel hat Informatik mit Schwerpunkt Psychologie studiert und in verschiedenen Rollen im IT Bereich gearbeitet. Ihre Begeisterung für Informatik will sie weitergeben. Darum hat sie 2014 mit Philipp die gemeinnützige Organisation App Camps gegründet.