Interview mit Lea Schulz – Inklusion und digitale Medien
Uns bei App Camps liegt es am Herzen, dass alle SchülerInnen Zugang zu Themen der informatischen Grundbildung sowie Medienbildung erhalten. Daher haben wir uns gefragt, wie digitale Medien zur Inklusion im Unterricht beitragen können und was dabei im Unterricht zu beachten ist. Dazu haben wir die Disklusions-Expertin Lea Schulz interviewt.
Wer bist du und was machst du?
Hallo, mein Name ist Lea Schulz, ich bin Diklusions-Expertin. Ursprünglich bin ich Sonderschul-Lehrerin und setze mich für das Thema Digitale Medien und Inklusion ein. Ich arbeite in Schleswig-Holstein am IQSH, am Institut für Qualitätsentwicklung in Schulen.
Was bedeutet Diklusion?
Wenn wir über Diklusion sprechen, müssen wir erst über Inklusion sprechen. Mir ist es wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit erfahren, Bildung zu erhalten. Diklusion ist die Verbindung zwischen Inklusion und digitalen Medien. Das heißt, wir müssen innerhalb der Idee der digitalen Bildung in der Schule immer inklusiv denken. Es gibt keine digitale Bildung ohne Inklusion, denn ansonsten schließen wir bestimmte Menschen aus.
Wie kann digitaler Unterricht zur Inklusion beitragen?
Wir haben die Möglichkeit, auf assistive Medien zurückzugreifen, die die Schülerinnen und Schüler unterstützen, in ihrem Unterrichtsprozess zu lernen. Zusätzlich haben wir digitale Medien, die beispielsweise dazu verhelfen, besser zu individualisieren. Über digitale Medien haben wir auch die Möglichkeit, besser in einen kooperativen oder kollaborativen Kontakt innerhalb einer Lerngruppe zu kommen sowie eine verbesserte Teilhabe innerhalb der Schule zu erreichen.
Welche Hürden gibt es bei der Nutzung digitaler Medien?
Die Umsetzung sowohl von digitaler Bildung als auch von Inklusion bringt uns regelmäßig an unsere Grenzen. Und deshalb ist es wichtig, auch darüber nachzudenken, wie ich mir bestimmte Prozesse sparen kann. Auch da unterstützen digitale Medien durch bestimmte Software für die Unterrichtsvor- und nachbereitung, für die digitale Diagnostik und Auswertung, um den Lernstand der Schülerinnen und Schüler zu kennen, aber auch für die Vernetzung, für die Arbeit im multiprofessionellen Team. Da können wir eine ganze Menge Ressourcen sparen, um dann wiederum bessere Bildung für die Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.
Machen digitale Medien den Unterricht automatisch diklusiv?
Wenn ich keinen digital-inklusiven Unterricht plane, sondern einen Unterricht ausschließlich mit digitalen Medien, heißt es noch lange nicht, dass alle Schülerinnen und Schüler teilhaben können oder dass alle Schülerinnen und Schüler Bildung erfahren können. Das heißt, ich muss innerhalb meiner Didaktik genau schauen, wie ich digitale Medien dazu verwenden kann, um Schülerinnen und Schüler in ihren eigenen Prozessen zu unterstützen. Ich muss ihre Voraussetzungen dafür in den Blick nehmen und gucken, welche Bedürfnisse da sind und dahingehend meinen Unterricht planen. Das ist gar nicht so anders, wie man es normalerweise machen würde. Aber digitale Medien bieten eine ganze Reihe Chancen, auf die ich zurückgreifen kann.
Ich kann beispielsweise digitale Medien als assistives Medium einsetzen. Das heißt, dass Schülerinnen und Schüler darin unterstützt werden, eine bestimmte Beeinträchtigung zu kompensieren. Und dafür gibt es eine ganze Reihe Beispiele, auch für Deutsch als Zweitsprache oder für Schülerinnen und Schüler, die vielleicht über gar keine Lautsprache verfügen, so dass sie auf elektronische Talker zurückgreifen müssen und ähnliches. Aber sie können eben auch zur Individualisierung oder zur Nutzung innerhalb der Lerngruppe genutzt werden, um die Co-Konstruktion von Wissen zu unterstützen. Gerade die kreative Medienarbeit führt dazu, dass Kinder hochmotiviert arbeiten.
Wie genau gestalte ich Unterricht diklusiv?
Ich bemühe mich darum, mich auch um einzelne Schülerinnen und Schüler zu kümmern und zu gucken, wie jede/r einzelne den nächsten Schritt gehen kann. Das ist eine wichtige Grundlage. Und als nächstes gucke ich mir Unterrichtsprozesse an. Nicht erst dann, wenn ein Schüler oder eine Schülerin scheitert, sondern vorher.
Also überlege ich während der Unterrichtsplanung, was Stolpersteine in dieser Unterrichtseinheit sein könnten. Genau diese Stolpersteine nehme ich in den Blick und überlege mir vorher bestimmte Hilfen und Unterstützungsmöglichkeiten für die Schülerinnen und Schüler. Diese können analog oder digital sein. Ein digitales Medium nur rauszuschicken und zu glauben „Jetzt macht man einen guten, diklusiven Unterricht“, ist ein Fehlglaube. Das heißt, wenn ich eine Hilfe etabliere, muss ich diese mit den Schülerinnen und Schülern besprechen.
Ein Beispiel wäre eine digitale Tipptheke einzurichten. Immer wenn Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten innerhalb einer Unterrichtseinheit haben, wissen sie, dass sie in dieser Tipptheke, die zum Beispiel mit TaskCards erstellt worden ist, nachgucken können und Hilfen finden. Ich werde wahrscheinlich als erstes feststellen, dass Schülerinnen und Schüler, die sie vielleicht eigentlich gar nicht brauchen, diese intensiv nutzen, aber dass Schülerinnen und Schüler, die diese Tipptheke eigentlich ganz dringend für bestimmte Bereiche bräuchten, nicht darauf zugreifen. Das heißt, dass ich jegliche Form von digitalem Unterricht und digitalen Unterstützungshilfen, die ich etabliere, anhand der vorab identifizierten Stolpersteine mit den Schülerinnen und Schülern einüben und gut einführen muss, damit sie sie regelmäßig nutzen.
Warum vorher? Nichts ist erfolgreicher als Erfolg. Ich motiviere meine Schülerinnen und Schüler dann nicht erst, wenn sie in den Brunnen gefallen sind, sondern vorab, wenn sie merken, dass sie nicht weiter wissen, sich selbstständig eine Hilfe zu suchen. Ich denke, dass es nicht nur eine Hilfe für die Schule, sondern vor allem auch eine Hilfe fürs Leben ist.
Welche Rolle haben Lehrkräfte im diklusiven Unterricht?
Zum Beginn des Digitalen Lernens oder der digitalen Bildung gab es auch bestimmte Verbände, die gesagt haben: „Um Gottes willen, die Lehrer sollen abgeschafft werden“. Ich sehe das ganz anders. Die digitalen Medien übernehmen an vielen Stellen Arbeit von uns Lehrkräften, die wir gut abgeben können. Also alles, was in irgendeiner Form automatisiert ablaufen kann, wie eine Diagnostik, eine ritualisierte, beständige Lernstandserfassung oder auch eine gute Unterrichtsvor- und -nachbereitung.
Der Austausch, zum Beispiel Open Educational Resources, ist eine sehr große und hervorragende Möglichkeit, damit wir nicht jedes Arbeitsblatt oder jede digitale Lernumgebung selbst erfinden müssen, sondern vielmehr kollaborativ arbeiten. Und zwar nicht nur in unserem Kollegium, sondern auch darüber hinaus.
Was muss sich ändern, damit Unterricht diklusiver wird?
Die Umsetzung ist an vielen Stellen nicht einfach und das liegt natürlich zum einen an der Ressourcenlage. Wir haben Schwierigkeiten, innerhalb des Kontextes Schule auf eine gute Infrastruktur zurückzugreifen, die uns dazu verhilft, guten diklusiven Unterricht zu gestalten.
Eine weitere Hürde ist aber auch, dass wir eine bestimmte Ausbildung benötigen. Alle Lehrkräfte in allen Schulen brauchen eine bestimmte Ausbildung, um dazu in der Lage zu sein, mit digitalen Medien wirklich gut differenziert, individualisiert und kollaborativ arbeiten zu können. Da sind wir an vielen Stellen noch nicht weit genug.
Zusätzlich benötigen wir eine bestimmte Chancengerechtigkeit in Bezug auf die Ausstattung. Das heißt, wir dürfen auf gar keinen Fall die Anschaffung von Endgeräten auf die Eltern auslagern. Dort ist die Problematik, dass bestimmte Schülerinnen und Schüler eine sehr gute Ausstattung haben, während andere keine oder eine eher schlechte Ausstattung haben. Das muss man nicht nur auf Schülerinnen und Schüler beziehen, sondern auch auf Schulen. Schulen in bestimmten sozialen Lagen haben häufig auch Schwierigkeiten damit, denn sie haben keinen guten Schul-Förderverein, der ordentlich Geld reinsteckt. Wir müssen darauf ein Augenmerk, auch ein bildungspolitisches Augenmerk, legen. Um Inklusion im digitalen Unterricht umsetzen zu können, müssen wir vor allem in der Schulentwicklung diese beiden großen Herausforderungen und Konzepte von vornherein strukturell programmatisch gemeinsam denken.
Herzlichen Dank für das informative Interview, liebe Lea.
Weitere Informationen zum Thema Diklusion findet ihr auf Leas Homepage und Twitter, sowie bei fobizz.
Vanessa ist studierte Medienpädagogin und arbeitet sowohl in der Erwachsenenbildung als auch mit SchülerInnen zusammen. Sie interessiert sich für die vielfältigen Anwendungs- und Einsatzmöglichkeiten digitaler Medien. Bei App Camps betreute sie bis Ende 2022 die Zusatzqualifikationen, hielt Webinare und unterstützte bei der Erstellung der Unterrichtsmaterialien.